Fand er nicht, weil er es konnte, dieses Mal jedoch waren sich Kopf und Mund einig, welcher Teil von diesem Gedanken an die anderen weiter gegeben werden sollte: „Ich dachte das wäre der fortgeschrittene Kurs; sonst hätten wir wohl mit Farben und Zahlen begonnen, meinst du nicht?“ Wobei er heute nichts gegen ein wenig Malen nach Zahlen im Unterricht hätte, auch wenn er sich daran erinnerte, lächerlich wie das aus heutiger Sicht auch klang, wie schwer ihm das am Anfang gefallen war – die Sprache und das ausmalen kleiner Felder, ohne über die Linie zu kommen. „Warum hast du nicht einfach irgendeine andere Sprache gewählt?“ Wenn man es mal so bedachte, war der Fakt, das die Schule natürlich nicht für jeden in ihrer multinationalen Schülerschaft einen Sprachkurs auf Muttersprachniveau anbieten konnte, natürlich eine Sache eine andere aber das Sophie sich überhaupt für einen Französischkurs angemeldet hatte, obwohl sie die Sprache doch bereits beherrschte. Alleine die Vorstellung er würde einen Englischkurs besuchen, um die Sprache zu lernen und nicht um sich wie heute durch Bücher zu quälen um irgendwelche vorgekaute Interpretationen und Bedeutungen nach zu plappern, ließ seine Mundwinkel leicht zucken. Wobei es sicher eine ganze Reihe von Leuten gab, die ihn wegen seiner Aussprache gerne nochmal in so einen Kurs setzten würden. „Ich habe gehört, in dem Mandarin-Kurs sollen eine entzückende Lehrerin geben und seien wir ehrlich, Chinesisch zu lernen ist nicht verkehrt“, überlegte er laut, was aber natürlich wahrscheinlich eher ein Argument für ihn wäre den Kurs zu wechseln, nicht für die Brünette.
„Natürlich findest du das“, erwiderte der Rothaarige und musste fast lachen, als er die Worte der Brünetten hörte, aus Prinzip, weil sie es konnte und weil sie genauso viel Freude daran hatte ihm zu Wiedersprechen, wie er allen anderen. Zumindest in dem Charaktermodus, den sie im Moment angelegt hatte. Zwar hatte sie recht, im Grunde war die Schule ihre einzige bekannte Verbindung, aber sprach das dennoch nicht gegen das, was er gesagt hatte. Dass es das einzige Thema war, war immerhin genauso erbärmlich, wie der Fakt das es um die Schule ging. Doppelt erbärmlich. „Und haben wir mit diesem Thema das Eis gebrochen, haben wir es geschafft mit so viel Negativität gegenüber Leuten, die uns übergeordnet sind eine positive Verbindung zueinander aufzubauen?“ Eher nicht, zumindest in seinen Augen, wobei die Mädchen wiederum sehr verständnisvoll auf die diversen rebellischen Unternehmungen der Brünetten reagiert hatten – warum auch immer, weil natürlich war Sophie im Recht, wenn der Lehrer sie ermahnte ihre Uniform richtig zu tragen. Böser Lehrer.
Auch bei dem nächsten Thema war sich Welner nicht allzu sicher was er davon halten sollte. Das eine war, wie die Bretonin es selbst noch einen Moment zuvor gesagt hatte, sie kannten sich alle kaum bis gar nicht, es gab keine Vertrauensgrundlage und so wie ihr Tag bisher gelaufen war, würden sie auf diesem Trip wahrscheinlich auch eher keine Freunde werden. Warum also wieder so ein persönliches Thema versuchen? Zum anderen kam erschwerend hinzu, dass er sich tatsächlich noch nie bewusst Gedanken über so eine ‚was-wäre-wenn‘-Situation gemacht hatte.
Sicher war der Rothaarige niemand, der sich gerne irgendetwas vorschreiben ließ, doch andererseits war er dazu erzogen worden, nicht zu vergessen, dass es auch Vorteile hatte, wenn jemand einem solche Entscheidungen abnahm. „Warum den müssen? Ist es nicht eigentlich eher ein Privileg?“, fragte er während die anderen beiden offenbar noch ihren eigenen Gedanken nachgingen – was ihn darauf schließen ließ, dass sie sich bisher auch eher weniger mit dem Thema beschäftigt hatten.
Natalia war schließlich die Erste, der etwas dazu einfiel, das erste jedoch, was dem Schotten an ihren Worten auffiel war, das auch die Weißblonde das Wort müssen im Bezug auf ihre Rolle als Nationen benutzte. „Das ist aber sehr genau“, witzelte er matt, „an was für ein Unternehmen hast du den konkret gedacht? Ich meine klar, selbstständiger Unternehmer klingt ziemlich eindrucksvoll, wenn man es so dahin stellt, aber eigentlich ist das ein ziemlich leerer Begriff.“ Ziel, Wille, Bedacht die goldene Dreierregel des Apparierens, die des Unternehmers wäre sicher etwas wie Ziel, Kapital, Umsetzung. Was aber leider weniger gut klang. „Außerdem, ist das nicht ein etwas zufallslastiger Wunsch?“ ergänzte er und zuckte mit den Schultern. Er meinte nicht das allgemeine Unternehmensrisiko das man als allein Unternehmer nun mal, für die Freiheit sein eigenes Ding durchzuziehen, trug, sondern viel Komplizierter die Chance, dass sie, selbst wenn sie jetzt tatsächlich eine gute Idee für ihr eigenes Unternehmen hatte, auf diese auch dann gekommen wäre, wenn sich nicht die wäre die sie nun einmal war und von dieser Prämisse ging ihre Unterhaltung im Moment doch aus.
„Das ist ein überraschend positiver Ton für einen so negativ belasteten Begriff“ überlegte der Schotte laut, als nun Elly an der Reihe war ihnen von ihren Berufswünschen zu erzählen und den Begriff Hackerin in die Runde warf. Natürlich wusste er, das es auch legale Hacker gab, Leute, die beispielsweise engagiert wurden die Systeme von großen Firmen und ähnlichem zu Hacken und sie damit auf Schwachstellen zu überprüfen – aber soweit er wusste war das eher die Ausnahme. „Aber nein, ich vermute mal, dass du mir damit nicht zu nahe trittst“, ergänzte er, als die Blonde anschließend Sophies Frage förmlich an ihn weitergab. Vielleicht weil sie befürchtete, dass er sich wieder um eine Antwort drücken würde, weil es ja eigentlich doch eine ziemlich persönliche Frage war, viel tiefsinniger als sie vermutlich beabsichtigt gewesen war und mit einem sehr philosophischen Charme.
Wer wäre man, wenn man nicht war, wer man ist.
„Vorausgesetzt sowohl meine Fähigkeiten, als auch mein Charakter hätten sich annähernd ähnlich entwickelt wie jetzt“, nicht zu vergessen sein wahnsinnig gutes Aussehen, „würde ich wahrscheinlich in den Bereich Medizin gehen, vielleicht Kardiologie.“ Oder Neurochirurgie, irgendetwas, wo er sich durch Leistung eine so große Anerkennung verschaffen konnte, dass die Leute einfach über seine Arroganz und alle anderen charakterlichen Problemstellen hinwegsehen mussten. Oder er ging in die Schönheitschirurgie, mit genug Busenops pro Tag würde er sich auch dann ein schönes Leben machen können. „Aber ehrlich gesagt habe ich noch nie wirklich darüber nachgedacht, immerhin gibt es keine Möglichkeit zu ändern, wer man ist und in unserem Fall bedeutet das nun mal das wir nicht ändern können was wir werden. Warum also sollten wir uns groß Gedanken darum machen. Nur um etwas zu verlieren, was man eh nie hätte bekommen können?“